Dieses Jahr will ich einem ernsteren Thema Platz auf diesem Blog zu widmen. Mir erscheint es, dass viele Menschen selbstzerstörerisch handeln und vergessen haben, wo & wie sie ihr Glück finden, sich zu stark irgendwelchen rigorosen Konventionen unterordnen statt sich selbst zu folgen. Deshalb erscheint hier nun jeden Monat einen Gastbeitrag zum bewusst offen gehaltenen Thema "Selbstliebe". Menschen teilen ihre Geschichten & Gedanken. Alle Beiträge findet ihr →hier.
Für den August gibt es den Text einer anonymen Autorin - wer den sehr persönlichen & traurigen Text liest versteht, dass das Gesicht dazu lieber im Verborgenen bleibt. Die Stärke der jungen Frau und ihre Offenheit haben mich beeindruckt & berührt.
Sanft streicheln seine Hände über meinen Rücken. Bis seine Fingerkuppen über die Narbe auf meinen Schultern stolpern. „Was ist da geschehen?“ – fragte er mich und biss mich in meine Schultern. Diese Frage höre ich spätestens im Sommer immer und immer wieder. Als Antwort erhält man ein Lächeln, welches andeutet das ich nicht darüber reden möchte.
Gleichzeitig versetzt es mich in diese Zeit zurück.
Inmitten der Pubertät, ich denke für Mädchen ist es eine einschneidende Phase, die Grenze vom Mädchen zur jungen Frau verwischen allmählich. Der Charakter wird mehr oder weniger geformt. Ich denke nur ungern zurück, denn nach meinem Empfinden war dies eine der härtesten und schmerzlichsten Momente.
Der Graben zwischen mir und meinem Stiefvater klaffte wie ein Abgrund. Wir hatten öfters Meinungsverschiedenheiten. Es ging oft um das westliche Leben, welches auf unsere Traditionen und Kulturen prallten. Er lehnte alles Neue ab, es waren die klischeehaften Themen wie vorehelicher Sex, Emanzipation der Frau und Schulbildung.
Wenn alle Stricke rissen, dann schlug er zu. Während meine Mutter ihre Augen verschloss.
Es wäre vielleicht anders gekommen, wenn ich einen Halt von aussen hatte. Doch meine Eltern hatten mich früh genug abgeschirmt. So endete meine Schullaufbahn in der Oberstufe in Katastrophe. Ich war anders erzogen worden, somit habe ich mich selbst zur Aussenseiterin erkoren.
Es kam schleichend, man ignorierte mich und irgendwann wollten meine Mitschüler ihre Macht austesten. Sie schmissen Dinge nach mir, behandelten mich wie eine tödliche Krankheit, verfolgten mich nach der Schule, bombardierten mich mit SMS.
Ich fühlte mich nicht verstanden. Vage erinnere ich mich zurück, wie ich oft vor dem Spiegel stand und unglücklich über das Gesicht darin war. Mein Selbstwertgefühl war wohl so tief wie der Börsen Index von 1929. Ich schämte mich meiner selbst. Meine Tage fingen mit dem Gedanken an: „Wie überlebe ich den heutigen Tag? Wie überstehe ich die Mobbingattacken meiner Mitschüler und am Ende des Tages noch die Prügeleien vom Stiefvater?“
Irgendwann schaltete ich auf stumm und blendete all meine Gefühle aus. Ich spürte mich selbst nicht mehr. Das Glücksgefühl war ausgeschaltet und die Wut über die Ungerechtigkeit ausgelaugt.
Das war wohl auch der Beginn, als ich anfing mich selbst zu schneiden. Tief, tiefer und für einen kurzen Moment kam wieder etwas Leben in mich. Ich konnte mein inneres Ich schreien hören und zugleich meinen Tränen freien Lauf lassen.
Ich weiss bis heute nicht ob es Zufall war oder nicht – denn bis dato dann, lief ich meiner ersten Liebe über den Weg. Was die ganze Sache mit den alten Traditionen meiner Kultur nicht vereinfachte – ich wusste wenn mein Stiefvater von dieser Romanze erfahren würde, dass ich mich so gut wie selbst begraben konnte. Ich war verliebt, unglücklich über mein Privatleben, sodass ich keinen anderen Ausweg mehr gesehen habe, als zu Schlaftabletten zu greifen.
Wie ihr seht, ich habe es überlebt und verfasse einen Text darüber. Es sind seither exakt 4 Jahre vergangen. 365 d x 4. Die Zeit in der ich innerlich gestärkt und gereift bin. Es hat ein gutes Stück guten Willen und Glaube gebraucht, dass ich heute als selbstbewusste junge Frau durch das Leben schreite.
Ich möchte damit sagen, die Schulzeit damals hatte mir aufgezeigt wie oberflächlich unsere heutige Gesellschaft doch ist. Wer nicht den Normen entspricht der wird gnadenlos aus dem System gefiltert. Toleranz wird gross gepredigt, doch die wenigsten vertreten diese Eigenschaft, welches unabdingbar für ein harmonisches Zusammenleben ist.
Des Weiteren, was ich als Nachteil empfinde, ist dass ich meine Emotionen heutzutage schwer zeigen und kundtun kann. Ich vertraue niemandem wirklich, ich kann mich nicht fallen lassen – da ich mit der ständigen Angst lebe, abgelehnt zu werden. Schlimmer noch: dass man meine Schwächen kennt und mich absichtlich verletzt.
Jedoch kann ich mit Stolz sagen, ich akzeptiere mich, heute finde ich mich attraktiv wenn ich mein Gesicht im Spiegel betrachte, ich habe Freude am Leben entdeckt. Und das Beste: viele alte Klassenkameraden lächeln mich schüchtern auf der Strasse an und wollen gar etwas mit mir Trinken gehen – doch ich pfeife auf euch alle. Ihr seid wirklich oberflächlich!
Zurück im Bett mit ihm. Ich habe lange geschwiegen, schliesslich tippe ich mit meinen Fingern sein stoppeliges Kinn an und sage leise: „Irgendwann erzähle ich dir diese Geschichte…“
Und er beugt sich zu mir über und küsste mich sanft. Ich glaube Glück schmeckt ungeheuer süss und nach Minze.
What a heartbreaking story. I can only imagine what you must have gone through. I was lucky enough to be born in a happy family, but it is a big eye-opener to read this story and to realize how tough life is on some kids. I hope you can leave all that history fully behind you some day and be completely happy. X
ReplyDeleteWas für eine Geschichte.. Ich hab beim lesen Gänsehaut bekommen. Chapeau für diese wundervolle Frau!
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